Der "Liederfürst" Franz (Peter) Schubert (1797-1828) war ein Urwiener, so denkt die Welt.
Aber das stimmt nicht so ganz.

Sein Vater Franz Theodor Schubert (1763-1830) kam aus dem heute verödeten Neudorf bei Altstadt (tsch. Nová Ves, seit 1948 Vysoká) im Glatzer Schneegebirge in Nordmähren und seine Mutter Elisabeth, geb. Vietz (1756-1812) aus dem Wallfahrtsort Zuckmantel (tsch. Cukmantl, seit 1948 Zlaté Hory) in Österreichisch Schlesien - ganz nahe an der Grenze zum preußischen Teil Oberschlesiens, die es erst ab 1742 gegeben hat.
Beide Eltern stammen also aus der "Genieküche des Reiches", wie man diese arme, von Abwanderung geprägte, Region damals nannte.

Und Franz selbst wurde am Himmelpfortgrund, im heutigen Haus Nußdorfer Straße 54 geboren. Die Wiener Vorstadt Himmelpfortgrund, in Sichtweite der Stadt selbst, wurde damals, als Schubert geboren wurde, durchaus noch mit ihrem älteren Namen "Sporkenbühel" (eine langgestreckte Geländestufe) bezeichnet.
Sie war damals (1783-1825) k. k. Cammeral-Besitz, also Staatseigentum. Erst 1850 kam der Himmelpfortgrund, seit 1825 im Besitze Wiens, zum neugebildeten Bezirk Alsergrund, bis 1862 der achte und seither der neunte Wiener Gemeindebezirk.
Aber das hat Franz Schubert nicht mehr erlebt.

 

Franz Schubert im Mai 1825 von Wilhelm August Rieder

Franz Schubert, Aquarell aus dem Mai 1825 (zu Lebzeiten) von Wilhelm August Rieder mit den Unterschriften von Rieder und Schubert

 

Schubert war also kein geborener Wiener, sondern kam aus einer Wiener Vorstadt, wie man damals alle Siedlungen zwischen dem Glacis rund um die Stadtmauer und dem Linienwall nannte.
Und hier hat er auch im wesentlichen gewirkt und seine unsterblichen Kompositionen geschaffen.

Aber nicht alles ist hier entstanden.

Das Shakespeare-Ständchen "Horch! Horch! Die Lerch' im Ätherblau" hat er im damaligen Vororte - Dorf Währing am gleichnamigen Bach komponiert.
Zum Biersack um 1890 Gartenlaube 1897

 

Gastgarten "Zum Biersack" um 1890,
aus der Gartenlaube 1897

 

Hier, an der heutigen Ecke Gentzgasse 31/Kutschkergasse 44, stand zu Schuberts Zeiten ein großer alten Gasthof mit einem großen Tanzsaal, "Zum Biersack" genannt.

Und im Garten dieses Gasthofes, angeblich unter einer großen Kastanie, soll er an einem Sonntagabend im Juni 1826, im Kreise einiger Freunde und inmitten des Wirtshaustrubels, das Shakespeare-Ständchen "Horch! Horch! Die Lerch' im Ätherblau" vertont haben.

Der Text stammt aus der Tragödie Cymbeline von William Shakespeare (1564-1616), ist vor 1611 geschrieben worden und damit mehr als 200 Jahre älter als Schuberts Musik.
Wer die deutsche Fassung erstellt hat ist nicht restlos geklärt. Vermutlich war es der Deutsche Abraham Voß (1785-1847). Und der österreichische Schriftsteller Johann Anton Friedrich Reil (1773-1843) fügte die Strophen zwei und drei an.

 

Obwohl es im Jahr 1826 die berüchtigte "Verzehrungssteuer" "an der Linie" noch nicht gab, zogen damals im Sommer an den Sonntagen zehntausende Wiener gerne in die Vororte hinaus und bevölkerten die zahlreichen Gasthäuser. Der "Biersack", damals zwischen der noch Herrengasse genannten Gentzgasse und dem Währinger Bach gelegen, war nur eines von vielen. Ludwig van Beethoven hatte dort verkehrt und eben auch die "Schubertianer".

Das Gebäude des ebenerdigen alten Gasthauses ist um 1900 einem gewaltigen mehrstöckigen Reihenhaus gewichen, der Währinger Bach seit 1901 eingewölbt und die Gentzgasse zu einer vielbefahreren Hauptstraße geworden. Die Kutschkergasse zwischen Gentzgasse und Währinger Straße ist seit Jahrzehnten eine Fußgängerzone. Die Beschaulichkeit des Biedermeiers ist freilich auch hier Geschichte. Aber man kann heute dort wieder im Freien sitzen, diesmal mitten auf der Gasse in einem der Schanigärten.

Am Haus Kutschergasse 44, hoch über den Haustor, hängt die unten abgebildete Erinnerungstafel des Geselligkeits-Vereins "Die Wilden von Wah-Ring" aus dem Jahr 1885, die offenbar auf den Neubau übertragen worden ist.
Niemand beachtet sie, nur ich mache ein Foto davon und die Leute ringsum beobachten mich erstaunt.

Diese Tafel ist ein letzter kleiner Hinweis, daß hier ein Genie ein unsterblich' Werk geschrieben hat.
Anerkannt wurde dieses Genie freilich erst nach seinem Tod 1828, das Lied erstmals 1830 (posthum) gedruckt.

Und plötzlich ist's mir, als ob Schubertklänge durch den Verkehrs- und Baustellenlärm klingen. Ganz fein und zart: "Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau!"

                                                                                             Günter Ofner, im Juli 2018

 

 Haus zum Biersack Gedenktafel

 

Schubert – Ständchen (Horch, horch die Lerch’)

Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau!
Und Phöbus, neu erweckt,
Tränkt seine Rosse mit dem Tau,
Der Blumenkelche deckt.
Der Ringelblume Knospe schleusst
Die goldnen Äuglein auf;
Mit allem, was da reizend ist,
Du süsse Maid, steh auf!

Wenn schon die liebe ganze Nacht
Der Sterne lichtes Heer
Hoch über dir im Wechsel wacht,
So hoffen sie noch mehr,
Dass auch dein Augenstern sie grüsst.
Erwach! Sie warten drauf,
Weil du doch gar so reizend bist;
Du süsse Maid, steh auf!

Und wenn dich alles das nicht weckt,
So werde durch den Ton
Der Minne zärtlich aufgeneckt!
O dann erwachst du schon!
Wie oft sie dich ans Fenster trieb,
Das weiss sie, drum steh auf,
Und habe deinen Sänger lieb,
Du süsse Maid, steh auf!