Kremnitz um 1691 Federzeichnung Friedrich Knig

Kremsier um 1691, Federzeichnung von Friedrich König

 

Kremsier (tsch. Kroměříž) ist eine alte Stadt in Mähren. Sie liegt an der mittleren March mitten in der fruchtbaren zentralen Ebene Hanna (tsch. Haná).
Bedeutungsmäßig lag sie immer im Schatten der beiden Hauptstädte, Olmütz (tsch. Olomouc) im Norden und Brünn (tsch. Brno) im Westen.

Im Jahr 1110 erwarb der damalige Olmützer Bischof Johannes II. das damals kleine Dorf am Westufer der March, die dort durch eine Furt leicht überquert werden konnte. Begünstigt durch die hier verlaufenden Handelsrouten entlang der March und durch die Mährische Pforte stieg es bald zum Markt auf (Ersterwähnung 1207) und erlebte in der Folge alle Höhen und Tiefen der mährischen Geschichte.
1241 verheerten die Mongolen das Land, um 1266 erhielt Kremsier das Stadtrecht und Bischof Bruno ließ eine Burg errichten, die die Furt kontrollierte. 1423 und 1432 fielen die Hussiten ein und herrschten hier längere Zeit. Von 1465–1471 kämpfte der Ungarnkönig Matthias Corvinus in dieser Region gegen seinen Schwiegervater den Böhmenkönig Georg von Podiebrad um die Macht in den böhmischen Ländern.
Zu Beginn der Neuzeit ließ der Stadtherr Bischof Stanislaus Thurzo die gotische Burg zu einem Renaissance-Schloß umbauen und erhob Kremsier zur Hauptresidenz der Olmützer Bischöfe. Die Stadt blühte auf und entwickelte sich zu einem politischen und kulturellen Zentrum des Landes mit dem Beinamen "Hanna-Athen".

1643 und 1645 eroberte der Schwedengeneral Lennart Torstensson die Stadt, ließ sie völlig zerstören und ein Massaker in der Judenschaft anrichten. Dann kam die Pest. Bischof Karl von Liechtenstein ließ sie wieder aufbauen und gründete 1687 das Kremsierer Piaristengymnasium.
1742 wurde die Stadt von den Preußen besetzt, 1752 brannte sie nieder und 1805 kamen die Franzosen Napoleons.

Im Jahr 1848 rückte sie ins Zentrum der Geschichte. Der seit 22. Juli 1848 in Wien tagende Österreichische Reichstag wich am 22. Oktober wegen der Revolutionskämpfe nach Kremsier aus. Hier tagte er von 22. November 1848 bis in den März 1849 im Speisesaal des Erzbischöflichen Schlosses.
 
Kremsier Schloss 1691 Justus van den Nypoort
 
Kremsier, Schloß 1691 von Justus van den Nypoort

Bis zum Jahr 1804 gab es keinen einheitlichen österreichischen Staat. Jedes Königreich, Erzherzogthum, Herzogthum, jede Markgrafschaft usw. besaß einen eigenen ständischen Landtag. Zusammengehalten wurde das Ganze durch die Person des Habsburger-Herrschers in Wien, sowie für die westlichen Territorien durch die Zugehörigkeit zum "Heiligen Römischen Reich". Erst mit der Gründung des Kaiserthums Österreich" am 11. August 1804 bildeten diese sehr unterschiedlichen Länder einen einheitlichen Staat. Allerdings erkannten die "Länder der Hl. Stephanskrone" (Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen) das nicht an.
Dieser einheitliche Staat besaß allerdings keine überregionale Vertretung, der Staatskanzler Wenzel von Metternich regierte praktisch gesehen absolut. Das sollte nun durch den Reichstag anders werden. Allerdings beteiligten sich nur die deutsch- und slawisch dominierten Länder (ohne Kroatien) daran. Die Ungarischen Länder und das Königreich Lombardo-Venetien lehnten eine Beteiligung ab, anfangs war das auch die Haltung Tirols.
Die 383 Abgeordneten des Reichstages von 1848-1849 repräsentierten die Kronländer, die bis zum Jahr 1806 zum "Heiligen Römischen Reich" gehört hatten (Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Steiermark, Kärnten, Krain, Görz und Gradisca, Triest, Istrien), sowie Dalmatien, Galizien, die Bukowina und das erst 1846 erworbene Krakau. Im Unterschied zu den alten Landtagen, die ständisch organisiert waren waren diese Reichstagsabgeordneten gewählt, zwar nur von Männern und nur solchen ab einem gewissen Einkommen, aber es war trotzdem ein großer Schritt in Richtung Demokratie. Vertreten waren Abgeordnete vieler Berufe, aller großen Völker und Konfessionen Österreichs, darunter erstmals auch Juden.
Der Reichstag verabschiedete richtungsweise Reformen wie die Aufhebung der Grunduntertänigkeit ("Bauernbefreiung" - bereits in Wien) und formulierte Grundsätze wie die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen, Glaubensfreiheit, Redefreiheit, öffentliche Gerichtsverfahren, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, Hausrecht, Briefgeheimnis, Zivilehe, Forschungsfreiheit usw.
 
Kremsier Reichsrat
 
Kremsier, Reichsratssaal

Die Habsburgermonarchie sollte damit in einen föderalistischen Staat umgewandelt und die nicht vertretenen Länder zur Teilnahme eingeladen werden. Kaiser Franz Joseph und Ministerpräsident Felix Fürst zu Schwarzenberg kamen der für den 15. März 1849 angesetzten Abstimmung über diese Verfassung aber zuvor und verkündeten am 4. März 1849 die Oktroyierte (aufgezwungene) Märzverfassung. Die "Bauernbefreiung" und die Gleichberechtigung aller Völker im Reich wurde aber auch hier übernommen. Am 7. März 1849 ließen die Regierung den Reichstag in Kremsier durch einen Militäreinsatz auflösen. Die Oktroyierte Märzverfassung trat nie in Kraft und wurde mit dem "Silvesterpatent" vom 31. Dezember 1851 auch formell aufgehoben. Auch die jahrhundetealten ständischen Landtage wurden ersatzlos aufgehoben.
Der Kaiser regierte (wieder) absolut - also ohne Mitspracherecht der Bevölkerung, der sogenannte Neoabsolutismus hatte begonnen.

Aber Ideen lassen sich nicht aufhalten.
Nach dem verlorenen Krieg von 1859 wurden wieder Verfassungen verkündet und ein Reichsrat eingerichtet. Nach jahrelangen Streitigkeiten zwischen Föderalisten, Zentralisten, Deutschen, Ungarn, Polen, Böhmen usw. und einem weiteren verlorenen Krieg (1866) kam es schließlich im österreichischen Reichsteil am 21. Dezember 1867 zur "Dezemberverfassung", die dann bis zum Ende (1918) in Kraft blieb.
Und hier waren viele der Prinzipien, die der Reichstag 1848-1849 debattiert und formuliert hatte, verwirklicht. Auch eine Reihe von Abgeordneten des Reichstages waren ab 1860 wieder politisch tätig.

Viele der 1848/49 formulierten Grundsätze gelten bis heute, sind längst zu selbstverständlichen Prinzipien unseres Zusammenlebens geworden. Erstmals zusammenhängend formuliert wurden sie im Erzbischöflichen Schloß in Kremsier in Mähren. Dort hat sich das Schicksal Österreich gewendet, vom Absolutismus hin zur Demokratie.
 
Wie ging es mit Kremsier weiter?
Die Bischöfe dominierten weiter, die Stadt blieb auch ein kulturelles Zentrum, verlor aber wirtschaftlich den Anschluß an die Entwicklung.
Ein Grund dafür war, daß die "Kaiser Ferdinand - Nordbahn" in den 1840er-Jahren auf der anderen Seite der March gebaut wurde. Die nächste Haltestelle war im Dorf Hullein (tsch. Hulin), 6 km weiter nordöstlich. Dort siedelte sich auch die Industrie an. Erst spät erreichte eine Seitenstrecke auch Kremsier.
1866 kamen die Preußen und mit ihnen auch die Cholera.
1885 trafen hier der österreichische Kaiser Franz Joseph und der russische Zar Alexander III. zusammen, was das "Dreikaiserbündnis" auch nicht retten konnte.

Die Stadt war, typisch für das mittlere Mähren, jahrhundertelang mehrheitlich deutschsprachig in einem tschechischen Umfeld. Das änderte sich erst mit der Masseneinwanderung tschechischer Landbewohner im Gefolge der "Bauernbefreiung" von 1848/50. Bis 1887 regierten, begünstigt durch das Kurien- und Zensus-Wahlrecht, deutsche Bürgermeister. Dann folgte der Alttscheche Vojtěch Kulp und die sprachliche Zusammensetzung änderte sich dramatisch. Bei der Volkszählung von 1880 gaben noch 24,2% der Einwohner Deutsch als Umgangssprache an, 1910 waren es nur mehr 4,9%. Gleichzeitig sank der jüdische Bevölkerungsanteil von 6,6% auf 3,3%.
Die deutschen Einwohner, Christen wie Juden, wanderten also rasch ab, wichen vor den zunehmenden Tschechischen Nationalismus aus. Viele gingen nach Brünn oder Olmütz, wo es bis 1920 deutsche Mehrheiten gegeben hat, viele auch nach Wien. Manche blieben wohl auch in der Stadt, deklarierten sich aber als Tschechen. 
Es gab bis zum Ende der Monarchie ein komplettes Schulwesen für beide Sprachgruppen (Gymnasien, Realschulen, Bürgerschulen, Volksschulen, Kindergärten).
Mit der Bodenreform von 1920 wurden auch die Bischöfe großteils enteignet, die Kommunisten ab 1948 nahmen den Rest. Selbst das Schloß gehört heute dem Staat, die Gemäldegalerie und das Interieur aber wieder der Diözese.

Heute ist Kremsier eine verschlafene Kleinstadt abseits der Hauptverkehrswege. Aber gerade darum spürt man noch einen Hauch von Geschichte. Steht man am großen Hauptplatz und blickt zum leicht zurückgesetzten Schloß, kann man sich noch heute vorstellen wie hier vor 170 Jahren österreichische Geschichte geschrieben worden ist.
 
Kremsier Rathaus
 
Kremsier, Blick zum Rathaus
 
 
Kremsier Blick zum Schloss
 
Kremsier, Blick zum Schloß
 

Das hier ist natürlich nur ein kurzer schematischer Überblick.

Alle Leser sind herzlich eingeladen, mir Ergänzungen mitzuteilen und mich auf Fehler und Irrtümer meinerseits aufmerksam zu machen.

Günter Ofner
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